Ab Oktober 1944 muss Walter Joelsen Zwangsarbeit leisten. In Thüringen zuerst in einem Kali-Bergwerk bei Bad Salzungen, später in Lagern bei Abteroda und Dankmarshausen. „Das waren keine Konzentrationslager. Die waren sehr unterschiedlich. Es gibt ein Buch, in dem Lager beschrieben sind, bei denen ich heilfroh bin, dass ich nicht dort war.“ Walter Joelsen erfährt keine körperliche Gewalt. Es ging um Ausbeutung durch Arbeit, sagt er, nicht um Vernichtung durch Arbeit.
1945 ist die Diktatur der Nazis vorbei. Dafür kommen Alpträume. Von Uniformierten, die ihn angreifen. Er will davonlaufen, seine Beine gehorchen ihm nicht. Männer in Uniform wollen ihn schlagen, er versucht zu schreien, reißt den Mund auf. Es kommt kein Ton über seine Lippen. Auch die Propaganda der vergangenen Jahre wirkt nach. „Es hieß: Juden sind nicht schöpferisch. Juden sind nur nach-schöpferisch. Juden sind zum Beispiel gute Dirigenten. Aber keine guten Komponisten. Juden sind gute Schauspieler. Aber keine Dramatiker.“ Walter Joelsen spielt Klavier, mit zwölf Jahren will er seiner Mutter zum Geburtstag etwas komponieren. „Brauchst dich gar nicht plagen, bist nicht schöpferisch.“ Er lässt es bleiben.
Noch niederschmetternder für ihn ist die Aussage, am schlimmsten seien die sogenannten Mischlinge. „Die haben von beiden Seiten nur die schlechten Eigenschaften. Mit denen kann niemand glücklich werden.“ Walzer Joelsen ist ein junger Kerl, gerade mal 18. Er ist verliebt. „Wenn man dann im Hinterkopf hat, du bringst immer nur Unglück, ist das eine grauenhafte Sache.“ Der Vater des Mädchens, um das es damals ging, sagt nur: So einem gibt er seine Tochter nicht.
Walter Joelsen überlegt, bevor er etwas sagt. Er macht Pausen, nimmt sich Zeit. „Mit dir kann niemand glücklich werden.“ Dieser Satz kommt immer wieder. „In einer verunsicherten Situation, in der ein Mensch mit 18 Jahren versuchen muss, seinen Weg zu finden, da kann sich so was festhaken.“ Nach dem Krieg denkt er an Selbstmord. „Du bringst nur Unglück. Und bevor du das bringst, mach lieber Schluss.“ 1952, er ist Vikar in Oberaudorf, schreibt eine Frau, sie wolle nicht von ihm beerdigt werden, „denn der Joelsen ist ja jüdischer Herkunft. Da helfen nur Menschen, die einem zeigen: Wir gehören zusammen.“ Walter Joelsen hat diese Menschen gefunden. „Der Alltag schleift so manches ab, was an Giftpfeilen in einem steckt.“
Letzte Seite: „Ich will den Menschen Mut machen, sich zu wehren. Wenn die kommen, die sagen: der ist anders, die ist anders, weg damit.“