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Konstantin Wecker Foto: Thomas Karsten

Konstantin Wecker
Foto: Thomas Karsten

Interview mit Konstantin Wecker

„Es geht ums Tun!“

Der bekannte Münchner Musiker, Schauspieler und Autor Konstantin Wecker hat 2013 den Ehrenpreis des Bayerischen Kabarettpreises erhalten, unter anderem für sein Engagement gegen rechte Ideologien. Er spricht über das Projekt „hier wohnte…“ des Künstlers Wolfram P. Kastner – eine Erinnerung an den Holocaust. Konstantin Wecker erklärt im Interview, warum er es nicht nur wichtig findet, die Erinnerung zu bewahren – sondern es aus seiner Sicht auch heute noch Anlass gibt, die Demokratie in unserem Land zu verteidigen.

Von Ulrike Eva v. Weltzien

Herr Wecker, Sie selbst engagieren sich öffentlich gegen rechte Ideologien, erinnern an Wachsamkeit und Zivilcourage, zum Beispiel in Ihrem Lied „Sage nein!“. Welche Botschaft empfinden Sie im Symbol der weißen Koffer, mit dem Wolfram P. Kastner an den Holocaust erinnert?

„Mein Freund Hannes Wader sagte vor zwei Jahren zu mir: Ich denke jeden Tag an den Holocaust – das fand ich sehr schön. Es gibt ja nach wie vor den dummen Satz: Lassen wir die Vergangenheit ruhen – die neue Generation hat damit nichts mehr zu tun. Das halte ich für sehr engstirnig, geradezu gefährlich! Wir müssen immer wieder aufpassen, dass so etwas nicht mehr möglich wird! Gerade in einer Zeit wie der heutigen, in der die Demokratie Gefahr läuft, sich zu verabschieden, nicht nur durch ein Finanzsystem, das die gesamte Politik im Griff zu haben scheint – sondern auch durch die Überwachungssysteme. Das alles hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Viele Leute sind der Meinung: Es ist mir egal, ob ich überwacht werde oder nicht – ich mache ja nichts Unanständiges! Aber man sollte darauf hinweisen, dass jemand, der die Macht hat, so gezielt digital zu überwachen, auch die Macht hat, digital zu manipulieren. Dies ist ein Punkt, der in dieser Debatte zu kurz kommt: Wer meine E-Mails permanent lesen kann, ist auch in der Lage, etwas hinein zu schreiben, das ich selbst nie geschrieben habe!“

„Selbst wenn es oft heißt, mit Kunst erreicht man sowieso nichts – es geht ums Tun!“

„Um zurück zu kommen auf die weißen Koffer: Ich finde es sehr wichtig, durch so eine Aktion an diese weltgeschichtlich einmalige und unendliche Grausamkeit zu erinnern. Bei den Worten ‚weiße Koffer‘ denke ich an mein Lied über die Widerstandsbewegung ‚Die weiße Rose‘ – darin heißt es: Es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Das ist ein Motto für mich geworden – selbst wenn es oft heißt, mit Kunst erreicht man sowieso nichts. Auch Hans und Sophie Scholl oder all die anderen im Widerstand haben nicht gesiegt, sie konnten das Hitler-Reich nicht stürzen. Unsere Weltgeschichte wäre dennoch undenkbar ohne sie! Die Koffer wiederum erinnern uns daran, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen und ins Exil gehen mussten, oder – was noch grausamer ist – in Vernichtungslager gebracht wurden.“

Es gab bereits eine Gesprächsrunde zwischen dem Zeitzeugen Walter Joelsen und einigen Schülern an der Neuhausener Mittelschule am Winthirplatz. Sie sprachen über die Koffer-Aktion und das Thema Holocaust. Welche Bedeutung für die neue Generation sehen Sie im Projekt „hier wohnte…?

„Die Aufklärung über den Holocaust darf ebenso wenig aufhören wie die Erinnerung daran! Ich war mit meinem damals noch kleinen Sohn, er war etwa elf Jahre alt, in einer Münchner Ausstellung, die Fotos von Konzentrationslagern zeigte. Für ihn war das ein nachhaltiger Schock, aber im positiven Sinne. Da hat sich in ihm etwas bewegt, denn bis dahin konnte er sich diese unendliche Grausamkeit gar nicht vorstellen. Ich habe zwei halbwüchsige Söhne, daher weiß ich, wie sehr es momentan im schulischen Umfeld wieder um sich greift, dass zum Beispiel KZ-Wärter-Witze gemacht werden. Der Holocaust ist mittlerweile fast schon ins Abenteuerland verlegt worden! Deshalb ist es besonders wichtig, die Kinder aufzuklären. Mein Sohn ist jetzt so weit, dass er sagt: Papa, ich würde so gern mit einem Zeitzeugen sprechen! Ich musste ihm leider sagen, dass es davon nicht mehr so viele gibt – sie sterben langsam aus.

Letztes Jahr im Sommer hatte ich ein Konzert in Hamburg mit Esther Bejarano (jüdische Musikerin, Jahrgang 1924, sie spielte im Mädchenorchester des KZ Auschwitz und zählt zu den letzten Überlebenden des Holocaust – Anm. d. Red.). Sie ist unglaublich, eine nach wie vor sehr vitale Zeitzeugin, die auch in Schulen geht. Ich habe von ihr erfahren, welch wichtigen Prozess das bei den Kindern in Gang bringt. Wir müssen auch mit den Lehrern reden – es darf nicht vorkommen, dass sie sagen: Lassen wir die Geschichte ruhen! Oder dass dieses Thema nur gestreift wird. Es ist notwendig, über den Holocaust zu sprechen, denn dadurch erst entsteht Empathie – das ist ganz entscheidend! Damit hören auch die Witze auf und die peinliche, lockere Umgangsweise mit all diesen Grauen.“

Die Kunst erreicht Menschen im Innersten, sie macht Wahrheiten sichtbar, rüttelt auf, macht betroffen – ob Aktionskunst, Gedichte oder Musik. Welche Wirkung hat das Gedicht „Ein kleiner Koffer“ von Ilse Weber auf Sie?

„Es ist ein schlichtes und dadurch sehr anrührendes Gedicht. Diese Schlichtheit – fast eine gewisse Naivität – entsteht, indem die Autorin einen Koffer sprechen lässt. Das berührt mich sehr. Ich glaube, dass in dieser einfachen Art sehr viel von dem unermesslichen Leiden ausgedrückt wird. Bezüglich der Ausstellung kommt mir nun der Gedanke, dass die Koffer nicht nur ein Symbol dafür sind, dass deren Besitzer fort sind – dies bedeutet auch, dass man die Koffer geplündert, jemandem weggenommen hat. Die Koffer blieben stehen, während die Menschen ohne jeden Besitz abtransportiert wurden. In der Schlichtheit der Worte und im einfachen Bild der Koffer hört alles auf, Kunst sein zu wollen – daraus spricht das reine Leid.“

Steckbrief Konstantin Wecker

Konstantin Wecker, geboren 1947, wuchs in München-Lehel auf. Er erhielt bereits im Alter von sechs Jahren seinen ersten Klavierunterricht, später lernte er Geige und Gitarre. In seiner Kindheit war er Solist im Rudolf-Lamy-Kinderchor. Ab 1968 machte er sich in der Kleinkunst-Szene einen Namen, war 1971 Mitbegründer der Rock-Soul-Band Zauberberg und ging 1972 mit der deutschen Version von Jesus Christ Superstar auf Tournee. Als Pianist und Sänger wurde er bekannt, überzeugte jedoch auch als Komponist von Filmmusiken (z.B. Schtonk!) und Musicals sowie als Autor und Schauspieler. Er wirkte in einigen Filmen mit, darunter „Wunderkinder“ aus dem Jahr 2011 – das preisgekrönte Drama von Marcus O. Rosenmüller handelt von drei Kindern, die in Zeiten des Kriegs und der Judenverfolgung mit ihrer Musik die Grenzen des Hasses überwinden.

Von 1968 bis 2013 absolvierte er zahlreiche Konzertauftritte und Tourneen mit nationalen und internationalen Musikern. Neben seinen Musikalben hat er etliche Bücher sowie Hörbucher veröffentlicht und wurde mit Literatur- und Kunstpreisen ausgezeichnet.

Er engagierte sich in all den Jahren seiner künstlerischen Karriere auch politisch – wie beispielsweise 1982 in der Konzertreihe Künstler für den Frieden. In vielen seiner Lieder setzt sich Konstantin Wecker mit dem politischen Tagesgeschehen auseinander.

 

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