Frieda und Julius Schweisheimer, Ruth Kraemer, geb. Schweisheimer und Dora Bustin, geb. Schweisheimer

Julius Isaak Schweisheimer
ca. 1939

Todesfallanzeige Julius
Julius Schweisheimer wurde in Ederheim, Kreis Nördlingen, geboren. Julius kam 1893 nach München. Sein Bruder Eugen gründete 1885 mit Simon Dispeker ein Bankhaus in München. Simon Dispeker war Kaufmann und Bankier, er kam am 25. Dezember 1848 in Fürth zur Welt und starb 1911 in München. 1893 zog Julius Schweisheimer nach München und wohnte in der Franz-Josef-Straße 36. Er ersetzte Simon Dispecker als Teilhaber der Bank und betrieb einige Jahre mit seinem Bruder Eugen das Bankhaus „E & J Schweisheimer“ in der Theatinerstrasse. Simon Dispeckers Witwe Bertha lebte 1939 für kurze Zeit in der Martiusstraße 8.
Um 1920 wurde Julius Direktor der 1886 als „Luppe & Heilbronner OHG“ von Otto Luppe und Milton Heilbronner gegründeten Metallätzwerk AG in der Äußeren Wiener Straße 102, später in der Irschenhauser Straße 19. einem der führenden Unternehmen der deutschen Schilderindustrie. Eugen und Julius waren alleinige Aktionäre der Metallätzwerk AG. Dabei wurden 96,3 % der Aktien von Eugen und 0,3 % der Aktien von Julius Schweisheimer gehalten. Am 4.Mai 1935 verkauften beide ihre Aktien und waren keine Aktionäre der Metallätzwerk AG mehr. Die Akten gingen auf die neuen Eigentümer über. Gleichzeitig legte Julius sein Amt als Direktor nieder und Eugen Schweisheimer trat als Aufsichtsratsvorsitzender zurück. Ab 1935 war Julius dort nur noch Angestellter, ab 31. März 1936 war er arbeitslos. Die Firma war „arisiert“, d.h. sie wurde von einem nichtjüdischen Inhaber übernommen. Die Firma hieß nun Dr. Fritz Leicher – Fabrik chemischer Gravuren. 1952 wurde die Produktionsstätte in München aufgelöst und die Firma übersiedelte nach Scheidegg, zwei Jahre danach wurde das Unternehmen durch die Bayerische Metallschilderfabrik der Familien Demmel und Holderried übernommen.
Am 18. Juni 1899 heiratete Julius Schweisheimer in Fürth Frieda Schönthal, die dort am 20. April 1875 zur Welt kam. Sie wohnten ab 1899 in der Leopoldstraße 17 ½. Ab dem 09.April 1907 wohnte die Familie in der Martiusstrasse 8/2 zur Miete. Die Mutter von Frieda, Ida Schönthal, geborene Ullmann, geboren am 25.April 1850 in Fürth, wohnte seit dem 05. April 1907 ebenfalls im 2. Stock der Martiusstraße 8. Nach dem Tod ihres Mannes, dem Fabrikbesitzer Philipp Schönthal, hatte sie sich entschieden, nach München zu ihrer Tochter Frieda zu ziehen.
Julius und Frieda hatten vier Kinder. Zwei starben früh, Fritz Walter am 25. Mai 1900, Magda am 10. Juni 1901. Ruth wurde am 27. August 1908 in der Martiusstraße 8, Dora am 08. November 1911 ebenfalls dort geboren. Am 28.02.1935 starb Ida Schönthal, die Mutter von Frieda, in München.
Ruth studierte in München, Berlin und Paris Archäologie und Kunstgeschichte und promovierte 1932 in München über den Bildhauer Johann Georg Dirr. Sie schrieb in ihren Erinnerungen:” One day, a classmate from the Gymnasium invited me to attend a lecture with her on Egyptian art. That lecture ’sealed my fate“. Kurz nach ihrer Promotion trat Ruth Kraemer an der Staatlichen Kunstbibliothek in Berlin eine Beschäftigung als Volontärin an. 1933 wurde sie jedoch auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vorzeitig entlassen.
Schon früh setzte sich Ruth Kraemer mit dem Gedanken einer Emigration sowie beruflichen Alternativen auseinander. „Everything changed, of course, when Hitler became German Chancellor on January 30. 1933. (…) Since our future looked so bleak, we, the younger generation, knew we had to leave Germany as soon as possible“.
Um sich ein zweites Standbein für ihre Zukunft im Ausland aufzubauen, erlernte sie unter Anleitung des renommierten Fotografen Siegfried Enkelmann im Atelier Robertson in Berlin das Fotografieren „In order to prepare myself for the possibility that I might not be able to find a job in my profession, I signed up for a course in photography (…)“. In Berlin lernte Ruth auch ihren späteren Ehemann, den Jurastudenten Helmut Kraemer, kennen. 1934 verließ sie das Atelier, um sich selbstständig zu machen und eröffnete am 02. August 1934 ein Fotostudio für Porträt-, Werbe- und Architekturfotografie in der Wohnung der Eltern in der Martiusstrasse 8 in München, das sie bis zum 29. September 1936 betrieb.
Sie nahm Kontakt zu ihren Verwandten in Amerika auf und bat diese, sie bei ihrer Emigration zu unterstützen. Ruth emigrierte dann 1936 von Le Havre mit der S.S. Britannic nach New York. Zunächst wohnte sie in New York bei ihren Verwandten Charlotte and Morris Weil. Wie viele emigrierte Kunsthistoriker beherrschte auch Ruth Kraemer das Englische nicht so gut, dass sie es ohne Weiteres für fachspezifische Zwecke hätte nutzen können. Doch ihre Befähigung in den romanischen Sprachen erleichterte ihr die Aneignung erheblich. Schließlich erfuhr Ruth Kraemer über eine alte Studienfreundin, Helen Franck, die sie bei einem Aufenthalt in Florenz kennen gelernt hatte, von einer Stelle in der Pierpont Morgan Library. Die Anstellung ermöglichte ihr das lang ersehnte eigene Appartement in New York. Ihre finanzielle Situation blieb jedoch lange Zeit problematisch. 1937 erreichte auch Helmut Kraemer die USA. „We were happily reunited and met almost daily to exchange experiences.“ Die beiden heirateten schließlich zwei Jahre später. Ruth (sie nannte sich ab dann Ruth Shearer Kraemer) verließ die Morgan Library, um ihre gemeinsamen Kinder Erika und Kenneth groß zu ziehen. 1940 wurde ihr schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft zugesprochen. Erst als ihr Mann sein amerikanisches Jura-Examen absolvierte, verbesserte sich die finanzielle Situation der Familie deutlich.
Nachdem ihre Kinder alt genug waren, nahm Ruth Kraemer ihre Arbeit wieder auf. Sie arbeitete in der Pierpont Morgan Library in New York in verschiedenen Positionen, u. a. im Department of Prints and Drawings. In diesem Rahmen realisierte sie auch die Publikation „Drawings by Benjamin West and his son Raphael Lamar West“ – den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung von 1975 in der Morgan Library.
Ruth Kraemer verlor durch die Verfolgung der Nationalsozialisten nicht nur ihre deutsche Heimat, sondern auch ihren Vater Julius Schweisheimer. Auch von der deutschen Sprache wandte sie sich ab. „(…) [She] only spoke German to her husband when she didn’t want her children to understand what she was saying. She did not teach German to her children. She travelled all over the world, but she never visited Germany again. In fact, she was very outspoken about her belief that no one in the family who was forced to leave Germany should ever return.“ Ruth Shearer Kraemer starb am 27. September 2005 in New York.

Ruth Schweisheimer
27.08.1908 – 27.09.2005
1930

Ruth Shearer Kraemer, geb. Schweisheimer
1994
Friedas und Julius Tochter Dora war mit dem Kaufmann Ernst Bustin (geboren am 25. September 1903 in Kochel) verheiratet, beide emigrierten am 20. Mai 1938 nach Buenos Aires, gemeinsam mit Ernsts Bruder Franz Josef (geboren am 19.Januar 1902 in Kochel).1939 gründete Ernst (Ernesto) Bustin eine Werkzeugmaschinenfabrik in Buenos Aires, die bis heute existiert. Über das weitere Leben von Ernst und Dora ist uns nichts bekannt.
Julius Schweisheimer und seine Frau teilten das Schicksal vieler Juden: Sie mussten ihre Wohnung verlassen. Sie zogen 1937 gemeinsam in die Franz-Josef-Straße 36, dann in die Leopoldstraße 52a/2, am 19. Juni 1940 in die Pension Lieseke in der Widenmayerstraße 6/4. Dort starb Frieda am 13. Mai 1941. Julius Schwester Hina Einstein wohnte ebenfalls in der Pension in der Wiedenmayerstraße 6, vom 20. Juni 1940 bis zum 04. Dezember 1941.
Julius letzter Wohnort in München war ab dem 04. Dezember 1942 die sog. „Judensiedlung“ Milbertshofen in der Knorrstraße 148.
Laut Vermögensaufstellung von dort wurden ihm 300 Reichsmark in Wertpapieren entzogen, sonst hatte er noch 700 Reichsmark auf einem Konto der Bayerischen Vereinsbank. Weiteres Vermögen gab es offensichtlich nicht mehr.
Von der Knorrstraße 148 wurde er am 23. Juni 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er am 23.11.1942 umgebracht wurde. Sein Bruder Eugen und seine Schwester Hina waren gemeinsam mit ihm im KZ Theresienstadt und wurden im Juli bzw. Oktober des gleichen Jahres ermordet. Friedas Bruder Leo, geboren am 15. August 1877 in Fürth, wurde am 04. April 1942 nach Piaski in Polen deportiert und dort ermordet.

Ernst „Ernesto“ Bustin
Ehemann von Dora
25.September 1903 -??
ca. 1930

Leo Schönthal
Bruder von Frieda
15. August 1877 –
04. April 1942
ca. 1938

Eugen Engstle Schweisheimer
18. Februar 1858 –
26. Juli 1942
Bruder von Julius
ca. 1938

Hina (Hindel) Einstein
16. November 1859 – 01. Oktober 1942
Schwester von Julius
ca. 1938
Ruth Kraemer und Dora Bustin stellten 1946 aus New York bzw. Buenos Aires Restitutionsanträge bei der amerikanischen Militärverwaltung. Anfang 1949 wurde der Rückerstattungsanspruch beim Bayerischen Landesamt für Wiedergutmachung angemeldet. Der Antragsgegner war Fritz Leicher aus Herbertshofen (Allgäu). Er hatte die Aktien des Metallätzwerks von dem zwischenzeitlichen Besitzer, der Immobilienbesitz AG übernommen und war damit seit 1938 Besitzer der Firma.
Im Verfahren legte der Anwalt von Ruth Kraemer im August 1959 dar:
„Seit 1933 hatte sich herausgestellt, dass die volljuristischen Hauptaktionäre angesichts der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben nebst täglich schärferer Boykottierung das Unternehmen nicht mehr halten konnten. Auch das finanzielle starke Bankhaus [… von Eugen Schweisheimer] war dazu nicht in der Lage. Es bleib nur der Ausweg, das Unternehmen arisieren zu lassen.“ Dies geschah, indem Julius Schweisheimer sein Amt als Direktor niederlegte, […] „nach außen mit vorgerücktem Alter begründet“. Direktor wurde Kurt Griebel aus Stockdorf. Über Fritz Leicher schreibt der Anwalt von Ruth weiter:
„… der Ruekerstattungspflichtige hat sich in ausgedehntem Maße mit Arisierung befasst …
Im Bezug auf das Metallätzwerk hat er in einem Schreiben betont, dass er das Unternehmen von Parasiten und jüdischen Bankiers gesäubert habe … hat die Übernahme als verdienstliche Tat der Entjudung betrachtet.“ Der Fall blieb verworren. Letztlich kam es zu einem Vergleich, auf dessen Basis Ruth und Dora sowie Waldemar, der Sohn von Eugen, ihre Restitutionsanträge zurückzogen.